Zwei Tage in Steyr

Zwei Tage in Steyr

Meine Frau und ich fahren über das Wochenende ins oberösterreichische Steyr, drei Tage, zwei Nächte, das übliche Paket. Fotografie war nicht das Ziel, aber ganz ohne Kamera schaffe ich es nicht außer Haus. Wer weiß. Es gibt immer etwas zu sehen. Ich bin Tourist, wie jeder andere auch.

Die mitgebrachte Ausrüstung ist minimalistisch: meine Nikon D810, das Nikkor 50mm f1.4G, eine voll aufgeladene Ersatzbatterie, die beiden Slots mit Speicherkarten gut gefüllt, das reicht. Die Mühe mache ich mir nicht, die L-Platte für das Stativ abzuschrauben, das nicht dabei ist. Ich mach‘ das gern: Weniger Ausrüstung heißt, weniger nachdenken müssen darüber, ob nicht doch das andere Objektiv gerade besser wäre, oder der Blitz, nein Aufheller, und, und. Manchmal denk‘ ich mehr über die Möglichkeiten nach, die sich durch die Ausrüstung ergeben, als über die Möglichkeiten, die sich ergeben, wenn man durch den Sucher schaut, und das zweite Auge nicht zukneift.

Christkindl bei Steyr

Kurz vor dem Abendessen ist die Kirche endlich beleuchtet, „Ich geh‘ kurz raus, das Licht brennt,“ sag ich und schnapp die Kamera. Claudia kennt das. Ich gehe um die Kirche. Den Blick von vorne verparken Autos, die sich nicht sehr postkartenkitschig an die Hecke drücken. Das warme Licht der Laternen schlägt sich mit der Halogen-Kirchenbeleuchtung, die grünlich schimmert. Jemand geht in die Kirche. Ich bin überrascht, dass noch aufgesperrt ist und gehe nach. Drinnen sitzt eine Gruppe Jugendlicher in den ersten Reihen auf der rechten Seite, jemand spielt Cello, einige singen. Der Blick auf die Anschlagstafel verrät, dass in 15 Minuten die Taizé-Gebetsstunde beginnt. Ich setze mich hin, höre zu. Es klingt so, wie wenn eine Gruppe Jugendlicher von einem Cello begleitet wird, ich fotografiere nur während sie spielen, damit der Spiegelschlag nicht so laut durch das Gotteshaus klingt, und bleibe an meinem Platz ganz hinten. Gelegentlich dreht sich wer um, aber niemand sagt etwas. Ich fühle mich fremd und möchte nicht dazugehören. Ein Mädchen geht in die Sakristei, kommt mit dem brennenden Weihrauchkessel zurück und wandert damit durch die Kirche. Ein Hauch Weihnachten, denke ich mir. Sie setzt sich als einzige jenseits des Mittelgangs. Ein Lied später stehe ich auf und gehe raus, zurück ins Hotel.

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Steyr

Novemberwetter. Wir lassen es uns nicht nehmen, eine Runde durch die Altstadt zu gehen, Sonntag vormittag, im Regen. Mein Stoffmantel reicht nicht, ich bekomme den Schirm. Claudias Lodenmantel fühlt sich wohl in dem Wetter. Ich hänge mir die Kamera um den Hals und schaue nur, dass sie nicht nass wird. Das Objektiv ist nicht wetterfest.

Gleich neben dem Parkplatz steht eine Kirche, wir gehen hinein. Drinnen herrscht gähnende Leere, ein Tourist verirrt sich hinein, hält seine Pocketkamera in Augenhöhe eine Handbreit vor sein Gesicht. Ich schaue mich um, er öffnet krachend die Tür zum Altarraum und geht hinein. In mir sträubt sich alles, katholische Erziehung und so. So spannend ist der Blickpunkt nicht, sage ich mir, und gehe ihm nicht nach, drehe mich um, und schaue an den Säulen empor, wie das Nebellicht das Kirchenschiff erhellt. Claudia sitzt alleine in den Bänken, der einzige Farbfleck in einem weißen Raum mit dunkelbraunen Reihen.

Wir gehen hinaus, die Gasse hinunter, in der uns ein paar Menschen entgegenkommen. Der Hauptplatz ist nahezu leergefegt, die Punschhütte zugesperrt. Die wenigen Leute drücken sich unter ihre Schirme und eilen den Platz entlang. Mich faszinieren die kleinen Gässchen, die vom Hauptplatz wegführen, alte Reklameschilder. Eine einzige Frau, die die Auslage einer Boutique studiert. Ich nehme die Kamera, immer müssen Leute kommen im falschen Moment. Warten, dann ein Foto, noch eins. Wieder ein paar Schritte gehen, schön langsam werden die Finger kalt, in der Manteltasche klebt sich die Hand am Futter an, vor Kälte und Feuchtigkeit. Der Uhrmacher ist mit seinem Geschäft umgezogen, die Uhr ist nur noch Zierde, markiert die Zeit, nicht länger den Ort. Ich drehe mich um, rechts geht eine Gasse bergauf, durch einen Torbogen, vor mir steht eine kleine Familie, ich erkenne den Touristen aus der Kirche wieder an der Hose, der Rest ist verborgen hinter dem Schirm.

Am Ufer der Steyr entlang verläuft ein kleiner Weg. Ich gehe ein paar Schritte hinein, mache ein Foto, und steige auf das Podest des Aussichtspunkts, der den Blick über den Fluss freigibt. Ein junger Schwan schwimmt gefährlich nahe an der Wasserkante, dann eilt er davon. Ich mache ein Foto, kurz darauf sehe ich aus dem Augenwinkel, wie er zurückschwimmt, der Abrisskante näher kommt, hinuntergespült wird, zu überrascht ist er, um aufzufliegen. Ein paar Sekunden später taucht er wieder auf, der Wehrschwimmer, und schüttelt sich das Wasser aus den Federn. Claudia und mir wird es immer kälter, wir drehen um und gehen ein Stück am Quai zurück, bevor wir über den Hauptplatz zum Auto zurückkehren.

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Sonntagberg

Mehr November geht nicht. Wir sehen kaum 10 Meter weit, als wir mit dem Auto am Parkplatz ankommen. Erst nach dem Aussteigen können wir schemenhaft die Basilika über uns erkennen. Ich habe keine Lust, die Kamera aus der Tasche zu nehmen. Wir folgen den Pfeilen zur Kirche – ein gottverlassenes Nest, denke ich mir – kommen an einem Devotionalienhändler vorbei, der offen hält, und gehen die letzten Stufen hinauf. Ein Pater öffnet von innen. „Grüß Gott,“ sagen wir, ich halte ihm das Tor und sehe der wehenden schwarzen Soutane nach. Drinnen ist es barock und leer. Überall werden Kerzen feilgeboten, verbunden mit dem Hinweisschild, dass die Kerzen nicht in der Kirche angezündet werden dürfen. Selbst die Figur neben dem Eingang kann das nicht glauben. Künstlich flackernde Elektrokerzen brennen beim Altar der heiligen Felicitas, vis-à-vis der heiligen Prospera, deren bleiche Knochen in golddurchwirkten Gewändern im gläsernen Sarg ausgestellt sind: Glück und Reichtum im Jenseits. Katakombenheilige waren auch einmal Mode. Uns ist das irgendwann zu morbid, wir gehen zurück zum Auto. Beim Hinunterfahren in dem Nebel singe ich Lobpreisungen dem Navigationsgerät.

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